Mein Kampf
Deutsch von Ursula Grützmacher-Tabori






Der Witz ist sozusagen ein Rettungsring, nicht Flucht vor der Realität, sondern Realität.“
George Tabori
Wien um 1910. Der jüdische Buchverkäufer Schlomo Herzl und sein Freund Lobkowitz - ein entlassener Koscher-Koch, der sich für Gott hält und mit Herzl ein merkwürdiges Herr-und-Knechtspiel spielt - wohnen mit anderen gescheiterten Existenzen, Dieben, Studenten und Tagespennernin einem Männerwohnheim in der Blutgasse. Eines Tages schneit ein junger Mann herein: Adolf Hitler aus Braunau-am-Inn, der sich mit seinen Aquarellen von fragwürdiger Qualität an der Wiener Akademie der Schönen Künste bewerben will. Nach dem Gebot der Nächstenliebe nimmt sich Herzl des unbeholfenen, flegelhaften Provinzlers und emotionslosen Cholerikers an, versucht ihn zu erziehen und ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die mütterliche Liebe und Zuwendung bleibt nicht ohne Wirkung, doch
anders als erhofft: Hitler gefällt sich in der Rolle des Täters und Welteroberers, verführt Schlomos junge Freundin, stiehlt ihm den Titel seines unvollendeten Buches „Mein Kampf“, verbündet sich mit Frau Tod und lässt Schlomos Huhn Mizzi schlachten und zubereiten… ein Vorgeschmack auf die zukünftigenSchrecken.
Mit George Taboris „Mein Kampf“ bringt das Puppentheater eine ungeheuerliche Liebesgeschichte auf die Bühne – eine surreale Geisterstunde und verzweifelte Clowneske im Geiste Samuel Becketts, die voll überbordendem Intellekt und bösem Witz gegen Normen verstößt, Sinn und Werte auflöst und die Weltordnung angegriffen zurücklässt. In der unheilvollen Liaison zwischen Jude und Hitler werden Täter- und Opferstatus vermischt und die wechselseitige Abhängigkeit offenbar. Dies findet im inszenatorischen Konzept der ersten Erwachseneninszenierung von Tim Heilmann für seine Sparte eine gespenstische Entsprechung: Hitler wird als Puppe von den Bewohnern des Asylheims geführt. Kein Hitler ohne „Mitspieler“ also. Damit macht die Inszenierung aufmerksam auf die Verantwortung jedes einzelnen im „Kampf“ gegen das Erstarken demokratie- und menschenfeindlicher Kräfte.
Inszenierung
Puppen: Christof von Büren
Dramaturgie: Karoline Wernicke
Bühnen- und Kostümbild: Tim Heilmann
Premiere: 20. September.2024, Burgtheater großer Saal
Termine
21.03.2025 um 10:00 Uhr Burgtheater, großer Saal Karten bestellen
21.03.2025 um 19:30 Uhr Burgtheater, großer Saal Karten bestellen
19.04.2025 um 19:30 Uhr Burgtheater, großer Saal Karten bestellen
26.04.2025 um 19:30 Uhr Burgtheater, großer Saal Karten bestellen
Rollen
Herzl: Andreas LarraßLobkowitz: Marie-Luise Müller
Hitler: Rodrigo Umseher
Gretchen: Marharyta Pshenitsyna
Frau Tod: Veronika Thieme
Himmlischst: Moritz Trauzettel
Presse:
... die Bautzener Version des neuen Puppenspartenchefs Tim Heilmann (ist) taborigerecht und reißt im Charme des angelegten Witzes mit einem wunderbaren Spielersextett und Puppen von Christof von Büren empathisch mit, ohne sich des Sujets vom Realdrama zu entziehen oder gar platte Analogien einzubauen.
Das Werk, für die Heilmann auch die Ausstattung übernahm, spielt waschecht in einer kargen wie kalten Feldbettenunterkunft, dahinter Gustav Klimts „Beethovenfries“ für die Wiener Secession als zeitgemäße Assoziation mit dem Giganten Typhoeus unter den Genien als schwebende Musen, von Tina Jungheinrich sehr schön prägnant gemalt. Andreas Larraß, seit 1988 als Puppenspieler engagiert, spielt den Schlomo als reine Schauspielrolle ebenso hervorragend wie Marie-Luise Müller den Lobkowitz, beide hier ohne Puppenentsprechung, aber ab und an den anderen beispringend. Rodrigo Umseher, gestandener Neuling im Ensemble und ebenso charismatisch wie Moritz Trauzettel als grauenhafter Heinrich, spielt Hitler auch im Duktus furios und das Gretchen, von Marharyta Pshenitsyna animiert, funktioniert ebenso vorzüglich, so dass man als Fazit den Deutschlehrerinnen im gesamten Kulturraum den Stoff samt Besuch wärmstens ans Herz legen mag,
Auch in Bautzen holt sich die elegante Frau Tod (Veronika Thieme als Gastspielerin) nach einigen Trauminterventionen den jungen Hitler: Aber nicht zwecks globalhumanitären Frühablebens, sondern ob seiner augenscheinlichen Tauglichkeit als Sensenmann oder Würgeengel, also als nützlichen Gehilfen – und kündigt Herzl böses Erwachen an. Eine eigentlich große Pointe Taboris, bei der aber – wie bei etlichen innewohnenden Wortwitzen – das Lachen mit der Gnade der Spätgeborenen eher verhalten gerät.
Andreas Herrmann, Dresdner Neueste Nachrichten
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